Neulich übernachtete ich nach einem Ehemaligentreffen im Gästezimmer meines früheren Mitschülers Andreas. Ich wunderte mich nicht schlecht über die versteckten Handschellen, die ich zufällig am Bettgestell fand. Na so was aber auch. Dieser immer so brav wirkende Kumpel praktiziert offenbar kein Blümchensex. Das hätte ich von ihm nicht erwartet. Neugierig und ein bisschen geil geworden fand ich im Nachtschrank eine Peitsche, Gerten und diverse Paddle.
Meine Fantasie galoppierte in erotische Träume und nach einer unruhigen Nacht fragte ich Andreas beim Frühstück mit einem provozierendem Grinsen (das wahrscheinlich etwas verlegen rüber kam):
“Du scheinst Fachmann für schlagende Argumente zu sein - hihi - kann man Hauen eigentlich lernen?”
“Ja, klar”, meinte Andreas trocken, “und für Dein Rumschnüffeln hast Du Dir eigentlich eine erste Lektion verdient.”
“Das würdest Du doch nie tun”, kicherte ich, “Du haust doch keine Frau.”
“Nein, soll ich nicht?” fragte er amüsiert, “Auch nicht, wenn Du darum bettelst?”
Ich merkte, wie die Erregung der Nacht wieder in mir hochstieg, schlürfte meinen Kaffee, verschluckte mich dabei und forderte ihn hustend und flüsternd auf:
“Rede weiter, erkläre es mir.”
Er schaute mich still grinsend an.
“Bitte!”, bettelte ich, stellte den Kaffeepott ab und sah ihm direkt in die Augen.
“Man kann SM eigentlich nicht erklären”, sagte Andreas nun bereitwillig, “ebenso wenig wie man einen Orgasmus erklären kann. Sexualität entdeckt man über das Erleben.”
“Ich hätte Angst vor dem Unbekanntem”, murmelte ich mehr zu mir selbst als zu ihm.
“Das kann ich verstehen”, nickte Andreas, “Vertrauen ist die Grundvoraussetzung für ein erfülltes Sexleben. Sie muss sich zwischen den Beteiligten aufbauen. Deshalb ist es wichtig, dass man sanft in die harte BDSM-Gangart einsteigt.”
Es folgte eine faszinierende Einführung in die BDSM-Szene. Allerdings leider nur theoretisch. Wir vereinbarten jedoch, dass ich demnächst bei einem seiner Workshops dabei sein werde.
Jedenfalls geht es in erster Linie nicht um Gewalt und Schmerzen, erläuterte Andreas. Alle gängigen Klischees von Auspeitschungen sollte man daher erst einmal vergessen. Auch Dominas, die gestresste Manager demütigen und an ihre Schmerzgrenzen führen, haben wenig mit dem zu tun, was inzwischen mit viel Vergnügen in vielen Schlafzimmern praktiziert wird.
Mit dem Begriff BDSM (Bondage & Discipline, Dominance & Submission und Sadism & Masochism) wird eine unendliche Vielzahl an sexuellen Spielarten zusammengefasst.
Dominanz- und Unterwerfungsspiele stehen im Mittelpunkt. Also das Ausgeliefert sein eines devoten Partners in die sexuelle “Gewalt” des Anderen, des dominanten Parts. Das funktioniert dann gut, wenn beide in ihrer jeweiligen Rolle Lust verspüren.
Der Reiz liegt darin, beispielsweise ans Bett gefesselt zu sein und zu entdecken, wie es sich anfühlt, wenn man dem Partner vollkommen ausgeliefert ist. Für viele steigert sich diese Lust noch dadurch, wenn dabei die Augen verbunden sind und sie nicht wissen, wo die nächste Berührung stattfindet.
Dominante Männer und Frauen mit Erfahrung wissen, wie sie durch gezielte, sanfte oder zunehmend härtere Berührungen, also beispielsweise mit leichten Schlägen und kunstvollen Stimunlanzien gewisser Körperregionen, wie beispielsweise Brustwarzen, Pobacken, Oberschenkel usw., die Hormone des Anderen in Wallung und ihn oder sie in ungeahnte Bereiche der Lust führen können.
Natürlich kann man - je nach Stimmungslage - von der Rolle des dominanten Parts zum devoten Spielgefährten switchen (wechseln) oder umgekehrt. Aber meistens möchten die aufeinander eingespielten Partner gerne in der einmal gewählten Rolle bleiben und sie mit zunehmender Erfahrung erweitern. Switcher suchen sich für die alternative Rolle möglicherweise von Zeit zu Zeit einen anderen Partner. Gute Gelegenheit dazu bieten Swingerclubs.
Es überraschte mich zu hören, dass es meist Frauen sind, die sich den Männern oder einer anderen Frau bewusst unterwerfen und ihre prickelnde Lust auf den süßen Schmerz ausleben wollen. Ganz offen spricht man darüber in Online-Dating-Portalen wie Poppen.de oder Fetisch.de. Andreas erzählte, dass er dort überwiegend seine Partnerinnen kennen lernt. Er berichtete von Gruppenaktionen, von regelrechten Sex-Workshops, an denen Frauen und Männer teilnehmen und BDSM-Praktiken für sich erproben.
“Offenheit! Akzeptanz! Neugierde! Hingabe! - Das ist alles”, meinte Andreas. “Das ganze BDSM Kauderwelsch für gewisse Techniken, für Fetische oder spezielle Praktiken lernt man mit der Zeit. Am Anfang genügen nützliche Grundbegriffe wie: Sub, Bottom und Top oder Dom. Sie erklären sich durch sich selbst.”
“BDSM ist eine Entdeckungsreise in das eigene ich”, fuhr Andreas fort, “empfindest Du Lust bei der Entdeckung einer Neigung, wird es kaum einen Grund geben, der Dich aufhalten sollte, diese Neigung tiefer zu ergründen. Also werfe Deine Vorstellungen und Vorurteile, alle Klischees und Zwänge über Bord und erfahre mehr über Dich selbst und lerne dadurch Dich und Deine Bedürfnisse besser zu akzeptieren!”
Wie immer in einer Beziehung, und sei sie auch noch so kurz, ist Kommunikation der Schlüssel zur Schatzkammer des Vertrauens. Deshalb sollte man vorher über die eigenen Sehnsüchte und Wünsche, aber auch über Ängste, Grenzen und Tabus sprechen. Für den Fall, dass man spürt, ich will nicht mehr oder ich kann nicht mehr, für mich ist die Entdeckungsphase vorläufig zu Ende, ist ein vorher vereinbartes Safeword das unmissverständliche Signal an den Partner, sofort aufzuhören. Natürlich muss das Safeword so vereinbart sein, dass es eindeutig nicht zum Spielablauf gehört. Also ein Wort wie Autobahn oder Blumenkasten passt besser als Ledergürtel oder Backpfeife.
Natürlich wollte ich auch wissen, ob es so etwas wie einen Dresscode gibt. Andreas meinte: “Alles ist erlaubt, was zum Spiel, zum Fetisch und zur Rolle passt und was das Spiel unterstützt. Wer die dominante Rolle einnimmt, sollte kein Symbol der Unterwerfung, wie Halsband oder Hundeleine tragen. In Swingerclubs und auf Mottopartys gibt es oft klare Dresscode vorgaben. Die sollte man beachten.”
“So,” sagte Andreas abschließend und stand auf, “nun musst Du Dich nur noch trauen, die ersten Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Du wirst es gewiss nicht bereuen.”
“Jedenfalls hast Du meine Neugier geweckt und ich möchte mehr über BDSM erfahren.”
Andreas grinste und verabschiedet mich mit einem Augenzwinkern:
“Dann lass uns bald in die Praxis einsteigen.”
Nie vorher hätte ich gedacht, dass ich bereit sein könnte, mich freiwillig diesem ehemaligen Schulfreund hinzugeben, der mir immer so harmlos und ganz und gar unauffällig vorkam. Doch ich werde sehen, was passiert und wie ich mich dabei fühle...
* Toni Agudelo (39) ist Deutsch-Kolumbianerin. Sie lebt seit vielen Jahren in Nürnberg und schreibt für das Poppen.de-Magazin als Gastautorin.
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