Ballou1957 Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Bereits bei @4sarasvatis lesenswertem Thread über Arbeitslosigkeit und Jobsuche reizte es mich mehrmals einige Kontrapunkte in die Diskussion zu werfen - doch immer wieder dagegen entschieden, um die wichtige und interessante Diskussion nicht zu verfremden. Ein berufliches Erlebnis heute morgen bringt mich jetzt dazu, den hier Thread zu eröffnen: Die Frage, um die es mir geht, ist, wieviel an äußerem und teilweise sehr unsinnigen Druck und damit Fremdbestimmung dafür verantwortlich ist, dass Arbeitslosigkeit und Jobsuche so leicht mit Depression und Selbstaufgabe verbunden sind. Ich habe vor 2 Jahren nach Jahren mit 60-80 Std.-Woche als Selbständiger und leitender Angestellter ein typisches BurnOut mit allen Konsequenzen erlebt und verdanke die größte Hilfe einem Arzt, der den üblichen Ansatz mit Depressionsdiagnose etc. verwarf und einfach die These aufwarf, dass nicht das BurnOut die Krankheit darstelle, sondern ein System gesellschaftlichen Drucks, das eine eigentlich gesunde Abwehrreaktion von Körper und Psyche diskriminiere. Dieser Gedanke kam mir auch wieder auf, als ich einige der Beiträge las: Deshalb mal einige provozierende Fragen (nicht bösartig provozierend, sondern zum Nachdenken anregend!) - Warum soll jemand, der arbeitslos wurde, nicht die Zeit nutzen, die Uhren mal etwas langsamer gehen zu lassen. Ohne schlechtes Gewissen - sei es verinnerlicht oder von aussen herangetragen - liegt hier ein wirkliches Potential an Regeneration und Ausgleich für Zeiten, die fast ausschließlich fremdbestimmt sind. - Weshalb einen wesentlichen Teil des Selbstwertes (und darum geht es doch, wenn uns Jobsuche und Arbeitslosigkeit so große Probleme bereiten und in Demoralisation und Depression reißen) daraus ziehen, ob wir für ein System akzeptabel sind, von dem wir wissen, dass es uns eigentlich krank macht? - Sind Realitätsfluchttendenzen wie Dauerchatten, Computerspiele, Alkohol nicht eher Fluchtreflexe auf das Gefühl von Minderwertigkeit denn ein Ausdruck, mit der verfügbaren Zeit nichts besseres anfangen zu können. Anders formuliert und um es mal mit Wilhelm Busch zu formulieren: Ist der Ruf erst ruiniert - lebt sich´s gänzlich ungeniert! - Warum nicht, befreit von einem falschen schlechten Gewissen diese Auszeit genießen? Mich hat mein seinerzeitiges Burnout-Erlebnis tatsächlich feststellen lassen, dass mir eine gemächlichere und faulere Lebensweise (nicht im Sinn von sinnlos abhängen - aber mehr Zeit für mich und meine Bedürfnisse) wesentlich mehr behagt und dass meine Lebensqualität durch den Verzicht auf etwas Lebensstandard (sprich Einkommen) wesentlich gewonnen hat. Und bitte bei der Diskussion nicht auf Statements beschränken, dass wir nicht einfach aus den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aussteigen können. Das ist mir klar und ich befinde mich selbst mittendrin - aber ich denke, es lohnt sich, über Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten doch etwas nachzudenken!
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 (bearbeitet) Du hast vollkommen recht. Wir rennen alle im Hamsterrad und erzählen uns stolz, wieviele Überstunden wir gesammelt haben. Herzinfarkte und sonstige Stressfolgen zieren die virtuellen Kolben unserer modernen Pistolen. Und die allerwenigsten von uns haben Jobs, in denen sie mit Herzblut stecken. Sondern sie machen die Jobs in der Form, weil sie Geld brauchen. Zu erzählen "ich mache meine normalen Arbeitsstunden, und wenn Feierabend ist, genieße ich meine Freizeit" klingt für die meisten nach Arbeitsverweigerung pur. Das ist u. a. in dem Buch "Die Kunst, weniger zu arbeiten" von Braig/Renz sehr gut dargestellt. Z. B. auch wieviele Milliarden Euro in die Subvention von Arbeitsplätzen fließen, obwohl diese strukturbedingt auch in der Zukunft nur durch Subventionen erhalten werden können. Es wird also Geld bezahlt, damit Menschen morgens zum Schichtbeginn am Werktor stehen und etwas machen, was im Markt nicht gebraucht wird. Man könnte den Leuten genau dieses Geld auch direkt auszahlen, dann hätten sie ein wunderbares Leben und könnten sich um ihre Familien oder was auch immer kümmern. Aber die allermeisten von uns sind nun mal so erzogen, dass du ohne Job nichts wert bist. Und sie haben auch nie die Zeit gehabt, sich drüber Gedanken zu machen, was sie denn an menschlichen Werten haben neben ihrer Arbeitskraft. Ich sehe (jaja, das klingt jetzt alles total abgehoben) solch eine Phase der freien Zeit als Chance und Aufforderung an, die Überlegungen, die du formuliert hast, anzustellen. Und ich betrachte es als "Wertschätzung" des Schicksals und als Aufmerksamkeit gegenüber sich selbst, wenn man diese Zeit nutzt, um etwas für sich als Mensch zu tun. bearbeitet März 4, 2009 von Gelöschter Benutzer
Fe**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 - Warum soll jemand, der arbeitslos wurde, nicht die Zeit nutzen, die Uhren mal etwas langsamer gehen zu lassen. Ohne schlechtes Gewissen - Weil Existenzängste und Einschränkungen kein wirkliches Ruhekissen sind, egal wie sehr man es "nutzen" möchte.......... Weshalb einen wesentlichen Teil des Selbstwertes................. Zu diesem Teil kann ich nichts sagen da ich nie wirklich Teil des Systems war...... - Sind Realitätsfluchttendenzen wie Dauerchatten, Computerspiele, Alkohol nicht eher Fluchtreflexe auf das Gefühl von Minderwertigkeit denn ein Ausdruck, mit der verfügbaren Zeit nichts besseres anfangen zu können. Vielleicht bei einigen deren sein auf das System ausgerichtet war, bei denen die ich kenne(und auch mir selbst) ist es zum großteil wirklich die Zeit, dazu kommt der Aspekt des sozialen Lebens. Kontakte fehlen, der Grund raus zu gehen fällt weg, Kumpels und Bekannte haben ihr Leben(Arbeit, Familie) also auch keine Zeit, finanzielle Mittel um die gewonnene Zeit "sinnvoll" zu nutzen sind knapp............... Eine Chance hat man nur, wenn man sich finanziell nicht wirklich Sorgen machen muß um die gewonnene/geschenkte Zeit zu nutzen...........
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 (bearbeitet) Weil Existenzängste und Einschränkungen kein wirkliches Ruhekissen sind, egal wie sehr man es "nutzen" möchte.......... Eine Chance hat man nur, wenn man sich finanziell nicht wirklich Sorgen machen muß um die gewonnene/geschenkte Zeit zu nutzen........... Und was ist mit denen, die für einen Vollzeitjob 1.500 Euro brutto bekommen? Da dürfte es mit finanziellem Ruhekissen auch nicht sehr weit her sein. Es hängen deutlich weniger Dinge vom finanziellen Status ab, als viele glauben. Frag mal Leute, die eine extrem schwere Erkrankung haben - die meisten würden ohne zu zögern ihre Krankheit gegen ein Restleben auf Hartz4-Niveau tauschen und würden nicht einen Moment überlegen, ob das ein guter Tausch war. bearbeitet März 4, 2009 von Gelöschter Benutzer
Se**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Ich möchte dazu bemerken, dass ich bis zum Jahr 2000 auch im Hamsterrad war und nach meinem Zusammenbruch die Dinge in einem anderen Licht sehe, nicht mehr so eng und nicht mehr so wichtig, ich nehme mir heute die Zeit für Dinge, die ich früher vernachlässigt habe und habe auch gelernt, NEIN zu sagen und Jobs sausen zu lassen, wenn es die Familie oder meine Gesundheit zu beeinträchtigen droht und im Urlaub ist das Handy ausgeschaltet, ich fahr eh meistens nur noch in solche Länder, in denen es eh schwierig wird. Und ich nehme mir einfach mehr Zeit für mich.
Fe**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 (bearbeitet) Die Miete muß trotzdem bezahlt werden und viele Annehmlichkeiten des Lebens kosten....... So unerheblich ist der Status nun nicht, jedenfalls wenn wir von genießen reden, Zeit ist schön und gut, aber Essen mußt du auch, die Kinder wollen, Rechnungen für den schnöden Alltag.............. Wenn man Abstriche machen kann, prima, aber der große Teil krebst irgendwie durch, da bleibt kaum Zeit zum träumen............. Frag mal Leute, die eine extrem schwere Erkrankung haben - die meisten würden ohne zu zögern ihre Krankheit gegen ein Restleben auf Hartz4-Niveau tauschen und würden nicht einen Moment überlegen, ob das ein guter Tausch war. Ich bin durch Ärztepfusch mit 44 verrentet, allerdings habe ich Glück und gute Vorsorge so das ich mir keine fin. Sorgen machen muß, das Problem Zeit ist mir nicht unbekannt und seit 10/08 versuche ich diese gewonnene Zeit zu nutzen, glaub mir, das ist schwerer als man annehmen sollte, von den körperlichen Beeinträchtigungen mal abgesehen..... Aber soviele Fälle wirds davon auch nicht geben und oben war von Arbeitslosen die Rede und warum die nicht......... bearbeitet März 4, 2009 von Ferkel007
Se**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Die Abstriche muss man machen, aber dafür lebt man besser und hat die Chance, die Rente zu geniessen.
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Im Kern zielt Ballous Frage ja nicht darauf, dass wir alle fröhlich unseren Job kündigen und von ALG leben sollen. Oder es gut finden sollen, weniger Geld und mehr Zeit zu haben. Sondern darauf, dass WENN es denn jemanden erwischt, er das beste draus machen sollte, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Weil niemand, weder derjenige selbst, noch seine Umgebung oder die Gesellschaft, noch das Arbeitsamt oder ein neuer Arbeitgeber was davon hat, wenn jemand komplett sein Selbstwertgefühl begräbt und sich nicht mehr aus dem Haus traut, nur weil er arbeitslos ist. Sondern im Gegenteil, wenn jemand die "freie" Zeit gut genutzt hat, wird er wahrscheinlich besser und zufriedener seinen neuen Job machen können.
Se**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Das hier zielt aber auch darauf, dass andere sehen, dass man beizeiten die Notbremse ziehen kann, damit es garnicht erst soweit kommt.
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 (bearbeitet) @ ferkel: Das tut mir echt leid für dich! Seine Zeit gut zu nutzen, wenn man keine besonderen körperlichen Beeinträchtigungen hat, ist ja schon eine Aufgabe. Wenn es denn noch körperliche Probleme gibt, ist das sicher umso schwerer. @ setzer: Ich geb dir vollkommen recht. Und du musstest sicher auch mit einigem Unverständnis kämpfen, dass du nicht mehr 150 % gegeben hast, oder hat deine Arbeitsumgebung mitgezogen? (die Familie wahrscheinlich sowieso) bearbeitet März 4, 2009 von Gelöschter Benutzer
Se**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Es war am Anfang etwas schwierig, aber da ich mit vielen Arbeitskollegen sehr gut auskomme, ging es relativ einfach. Aber am schlimmsten fand ich, dass ich fast meine Familie verloren hätte.
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Aber am schlimmsten fand ich, dass ich fast meine Familie verloren hätte. Aber doch hoffentlich nicht wegen deiner Entscheidung, kürzer zu treten, sondern wegen deiner Überlastung vorher?
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 wir glauben, keiner von den vorschreibern muss von dem leben, was der staat einem gibt, um zu sterben ... Hier wird eine lebensweise angepriesen, die sich 90 % der leute einfach nicht leisten können. Habt ihr die Texte nicht vollständig gelesen? Es geht nicht darum, dass man es toll finden soll, wenig Geld zu haben!! Sondern dass man sich, wenn man schon in die Lage kommt, arbeitslos zu sein, nicht zusätzlich auch noch von morgens bis abends von einer Depri in die andere stürzen soll, sondern aus der Situation, die nun mal so ist wie sie ist, das beste machen soll!!! Und sich vielleicht tatsächlich, wenn man nicht in der Situation ist, in Ruhe damit auseinanderzusetzen, was wäre, wenn... Und worauf man verzichten könnte, wenn... Damit es einen im Falle eines Falles nicht so brutal in den Keller reißt. Es gibt genügend Leute, die tatsächlich mit dem leben müssen, was ihnen der Staat nach 1 Jahr Arbeitslosigkeit gibt. Ich kenne zumindest einen. Und der ist keine 50, findet aber ums Verrecken keinen Job. Was soll er denn machen? Sich aufhängen, um der Gesellschaft Geld zu sparen? Das Saufen anfangen, damit er die leeren Tage übersteht? Oder das tun, was er jetzt auch tut - sich im Verein engagieren, auf (finanziell) bescheidenem Niveau Kontakte pflegen, und hoffen, dass in den 17 Jahren, die er noch bis zur Rente hat, nochmal ein Job für ihn dabei ist.
Ballou1957 Geschrieben März 4, 2009 Autor Geschrieben März 4, 2009 @tatso Es geht mit weder um eine alternative Lebensweise noch um eine Idealisierung von Geldmangel. Es geht mir tatsächlich darum, was in solchen Situationen uns demoralisiert und depressiv werden läßt. Ist es tatsächlich die Existenzangst? Ich glaube nicht: die ist aktuell in meiner Selbständigkeit akuter, wenn ich lese, dass der Maschinenbau einen Auftragseinbrauch von 42% im Januar hat und wenn ich mitbekomme, dass meine Kunden Stellen abbauen müssen und zum Teil über Kurzarbeit nachdenken. Es geht darum, dass zu der Existenzangst Gefühle des Entwertetseins der Wertlosigkeit, Minderwertigkeit, Unfähigkeit kommen, die einem Gesellschaftsbild entspringen, das Vollbeschäftigung als normal und Arbeitslosigkeit als Ausdruck von Faulheit und/oder Unfähigkeit darstellt - und das entspricht eben nicht der gesellschaftlichen Realität. Also geht es in keiner Weise um Glorifizierung eines Lebens unter Hartz4 oder ähnlichem.
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Vielleicht muß man dafür gar nicht soweit ausholen um das Gefühl was dort entsteht zu beschreiben. Es geht doch erstmal warum man zu hause bleibt. Da denke ich persönlich das es Unterschiede gibt, ob ich wegen Burnout oder andere Krankheit oder einfach, weil mich keiner mehr will zu hause bleibe.Auch der Ruhestand, den man sich erarbeitet hat zählt dazu. Dieses nicht mehr gebraucht werden, das nichts mehr erreichen ist es was doch am Ende einen dieses Gefühl der Nutzlosigkeit gibt. Viele versuchen es langsamer anzugehen ,etwas mehr Ruhe zu bekommen, doch dann ist es irgendwann zu viel Ruhe. Da liegt doch die Gefahr. Das relaxen und sich erholen geht vorbei, wann beginnt man sich hängen zu lassen und selbst zu hause nichts mehr auf die Reihe zu bekommen? Man hat ja Zeit es zu erledigen..irgendwann hat man Zeit seine Freunde zu besuchen...man kann es ja verschieben, man hat ja Zeit, irgendwann hat man zu viel Zeit. Also mit was verbringt man seine Zeit? Was wenn alles um einen herum arbeiten ist ? Dann fängt man an nachzudenken und manch einen bekommt das viele nachdenken nicht.
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Ich kann setzer gut verstehen. Was bringt einem alles gute Geld, wenn die Familie leidet und zerbricht? Immer wieder haben wir den Streit eines befreundeten Pärchens vor Augen: er arbeit selbständig von früh bis spät, auch am We und im Urlaub. Seine Tochter hört ihn fast nur noch am Telefon, sehen ist selten. Sie möchte, dass er etwas kürzer tritt und auch mal für die Familie da ist. Sein Kommentar "dann kann ich ja gleich ganz aufhören" Ist es das alles wirklich wert? Zumal er trotz all der Arbeit noch immer Hartz IV oben drauf bekommt. Dafür die Gesundheit riskieren? NEIN DANKE!!!
the_f_word Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 ich denke, man braucht irgendwelche hobbies, die man pflegen kann, ehrenamtliche tätigkeiten usw. problem ist ja, dass viele freunde etc. selbst tagsüber keien zeit haben, man selbst aber schon. ich würde zumindest alltagsrituale empfehlen. tageszeitung abonnieren, bibliothek aufsuchen - dinge die kein bis wenig geld kosten. vhs-kurse belegen, sport machen, an ner hochschule vorbei gehen (für vorlesungen braucht's weder abitur noch gasthörerstatus - da fragt niemand nach) - dinge, bei denen man was macht besonders beschissen ist es natürlich ausserhalb v großstädten zu leben, und nicht genug geld für öpnv oder auto zu haben. das nimmt einem sehr viele möglichkeiten
4s**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 (bearbeitet) Die Kohle ist nicht der Killerpunkt. Es stimmt, Geld macht nicht glücklicher, sobald man über das Minimum hinaus ist. Schwieriger sind die Zukunftssorgen. In meinem Fall sind da leichte Schulden dabei und z.B. die Frage, wie ich evtl. mal Kinder versorgen könnte. Oder wie ich irgendwann eine akzeptable Summe für die Rentenversicherung zusammenkriege. Mein Studium hab ich mir die meiste Zeit selbst mitfinanziert (dadurch hab ich auch laufend was eingezahlt in die RV, aber viel war's nicht), Kohle war dabei dauerknapp, aber was soll's, als Student interessiert Luxus keinen... Es lebe die Improvisation. Macht eh mehr Spaß. Dann erste Runde Jobsuche (Hartz IV natürlich, aber nach dem Studi-Leben keine große Umstellung), gelegentlicher Frust, aber ohne ernsthaften geistigen Schaden durchgestanden. Doktorarbeit und nebenbei Selbständigkeit probiert, aber Vorhaben zugunsten von Hartz IV und Bildungsgutschein (erst nach vielen Verhandlungsrunden ergattert) abgeblasen - Mist, aber sich was zu essen kaufen können ist halt doch schön ab und zu. Während des Aufbaustudiums (+Zuverdienst) hatte ich auch nicht viel zur Verfügung, wurde sozusagen in der freien Wirtschaft auch "nicht gebraucht", hab aber viel gelernt, viel erlebt (hab meine flexible Zeiteinteilung ordentlich genutzt) und war in der Regel ausgeglichen und optimistisch und hab allen erzählt "sooo schlimm ist Hartz IV nicht". (Außerdem war ich mir ziemlich sicher, in der zweiten Runde nen Job zu ergattern, nachdem ich wirklich genügsam bin.) Es stimmt ja auch, Hartz IV bringt echt nicht um. Zukunftssorgen sind dafür schon eher geeignet.... Sich mit 32 noch nie zu 100% selbst finanziert zu haben - auch nicht auf sehr niedrigem Niveau - in Kombination mit Schulden ist etwas, was sich nicht so recht als Ruhekissen eignet. Und in dem Alter will ich auch nicht sagen, ich nehm das jetzt mal als ne Art Vorruhestand hin und werde H4-Privatier, obwohl ich die Idee momentan ziemlich witzig finde. bearbeitet März 4, 2009 von 4sarasvati
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 ...Die Frage, um die es mir geht, ist, wieviel an äußerem und teilweise sehr unsinnigen Druck und damit Fremdbestimmung dafür verantwortlich ist, dass Arbeitslosigkeit und Jobsuche so leicht mit Depression und Selbstaufgabe verbunden sind. Das hängt in meinem Fall damit zusammen, wie bei der ARGE mit einem umgegangen wird. Fremdbestimmung ohnegleichen, man ist nur noch eine Nummer unter vielen aber keine Persönlichkeit mehr. Dass einem Steine in den Weg gelegt werden, wenn man sich selbst Ziele setzt, die aber von der ARGE nicht gefördert werden. Statt dessen gibt es zahlreiche sinnfreie Schulungen. (Für die letzte hätte ich gern monatlich das Geld, welches mein Platz gekostet hat, selbst bekommen) Druck wird aufgebaut, indem ich mich um eine Kinderbetreuung bemühen soll, dabei wurden alle Hortplätze im Umkreis ersatzlos gestrichen. Und alles für eine weitere sinnfreie Schulung, die mir außer zusätzlichem Stress nichts bringen wird, weil der Arbeitsmarkt einfach keinen passenden Job hergibt. Sanktionen im Falle der Weigerung eines Wohnungswechsels und einiger anderer Kleinigkeiten fördern Depressionen und Selbstaufgabe. Die Umstände dienen nicht grad der Entspannung. - Warum soll jemand, der arbeitslos wurde, nicht die Zeit nutzen, die Uhren mal etwas langsamer gehen zu lassen. Ohne schlechtes Gewissen - sei es verinnerlicht oder von aussen herangetragen - liegt hier ein wirkliches Potential an Regeneration und Ausgleich für Zeiten, die fast ausschließlich fremdbestimmt sind. Wenn die Arbeitslosigkeit nicht über einen hereinbricht, sondern sich ankündigt, werden die meisten diese Zeit ähnlich einem Urlaub sehen und entsprechend genießen. Ich habe es getan, als ich in früheren Zeiten mal arbeitslos wurde. Nach drei Monaten hatte ich aber bereits einen neuen Job. In der Zwischenzeit habe ich mich um mein großes Kind gekümmert, gekocht, gebacken, bin umgezogen und habe renoviert. Aber nach diesen drei Monaten war es auch schon wieder zu viel Freizeit. - Weshalb einen wesentlichen Teil des Selbstwertes (und darum geht es doch, wenn uns Jobsuche und Arbeitslosigkeit so große Probleme bereiten und in Demoralisation und Depression reißen) daraus ziehen, ob wir für ein System akzeptabel sind, von dem wir wissen, dass es uns eigentlich krank macht? Ich hatte früher einen tollen Job, der mir wirklich Spaß machte. Ich war ein regelrechter Workaholik, trotz Kind und mieser Bezahlung. Macht uns das System wirklich krank? Oder sind es nicht eher die eigenen Ansprüche, die wir an uns selbst stellen? Denn mir hat es anfangs wenig ausgemacht, zu erzählen, dass ich Arbeit suchend bin. - Sind Realitätsfluchttendenzen wie Dauerchatten, Computerspiele, Alkohol nicht eher Fluchtreflexe auf das Gefühl von Minderwertigkeit denn ein Ausdruck, mit der verfügbaren Zeit nichts besseres anfangen zu können. ... Warum nicht, befreit von einem falschen schlechten Gewissen diese Auszeit genießen? ... - aber ich denke, es lohnt sich, über Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten doch etwas nachzudenken! Ich denke auch, dass es eher Fluchttendenzen sind, die einen Ausstieg aus dem Alltag fördern. Die Probleme laufen nicht weg und sind immer noch da, wenn man den PC ausschaltet oder der Rausch ausgeschlafen ist. Es gibt natürlich auch viele Menschen, die gar nicht in der Lage sind, allein für sich etwas zu reflektieren oder gar genießen zu können. Sei es, weil der Konsumrausch sie stets beherrschte oder sie eh nicht viel mit sich selbst und/ oder ihrer Umwelt anfangen konnten. Wenn ich keine Existenzängste kennen würde, würde es mir einfach super gehen und ich würde mich gern zurück lehnen und die Dinge tun, die ich schon immer tun wollte. Was bei mir allerdings auch eine Rechtfertigung vor mir selbst fordern würde, weil meine gesellschaftskonformen Zielvorstellungen verschoben wären. ...Es hängen deutlich weniger Dinge vom finanziellen Status ab, als viele glauben. Frag mal Leute, die eine extrem schwere Erkrankung haben - die meisten würden ohne zu zögern ihre Krankheit gegen ein Restleben auf Hartz4-Niveau tauschen und würden nicht einen Moment überlegen, ob das ein guter Tausch war. Der Status ist ab dem Moment nicht mehr entscheidend, sobald man seine Miete (und andere Rechnungen) stets pünktlich zahlen kann. Überlege doch bitte mal einen Augenblick, was du geschrieben hast. Denn ich bin Aufgrund einer chronischen Erkrankung arbeitslos und dadurch erst Hartz4 Empfängerin geworden. Klar, gesund und Hartz4 wäre für mich leichter zu ertragen, aber nicht, weil ich dann wirklich zufriedener wäre, sondern weil ich immer noch einige Möglichkeiten hätte, in Arbeit zu kommen. Wenn es gilt, ein Kind zu ernähren und ihm ein wenig an Möglichkeiten mit auf den Weg zu geben, reicht Hartz4 dafür einfach nicht aus. Wenn ich allein wäre, würde mich der finanzielle Druck durch Hartz4 bei weitem nicht so sehr belasten.
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Sehr schön be- und geschrieben Freya Komm auf den Arm
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 ..Die Frage, um die es mir geht, ist, wieviel an äußerem und teilweise sehr unsinnigen Druck und damit Fremdbestimmung dafür verantwortlich ist, dass Arbeitslosigkeit und Jobsuche so leicht mit Depression und Selbstaufgabe verbunden sind. ..Eine Depression sieht im Moment ein Bild einer Situation und die Ursachen hierfür sind sicherlich reichlich. Wenn du von dem äusserlichen Druck sprichst, dann sind das Zeichen für die eigene Überforderung Antworten zu müssen, um sich selber darzustellen und das sieht sicherlich nicht gerade leicht aus. Daher sehe ich Selbstaufgabe nicht unbedingt im Zusammenhang mit einer Fremdbestimmung, wenn man andauernd andere Bilder mit den eigenen vergleicht. Dann neigt man vielleicht höchstens dazu. Naja, wie auch immer..
08**** Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 (bearbeitet) Eine Frage der Bewertung: Zur Untätigkeit verdammt, oder Freiraum für sich selbst besitzen? Wenn der materielle Spielraum reicht, läßt sich die gewonnene Zeit auch sinnvoller nutzen, aber die Anerkennung von Kollegen möchte ich nicht missen. Hat man durch mehrjährige Ausbildung und vorheriger Schulzeit in sich investiert, hält die Arbeitslosigkeit einem vor, nicht nur jetzt Pech zu haben, sondern event. sein Leben falsch/ungünstig angegangen zu sein, was kein Kompliment für jeden sein dürfte. Ohne gleich dem Calvinismus für zu reden, es können auch andere Dinge Selbstbestätigung, Lebensqualität... bergen. Lesetipp H. Hesse: die Kunst des Müßigganges bearbeitet März 5, 2009 von 0815Erwin
Ballou1957 Geschrieben März 4, 2009 Autor Geschrieben März 4, 2009 @freya und @4sarasvati Ich kann sowohl die existentiellen Ängste als auch die ganz realen Zwänge sehr gut nachvollziehen und bin mir absolut im Klaren, dass man sich diesen nicht entziehen kann. Allein diese Auseinandersetzungen und die erforderliche Eigenpositionierung ist belastend und gewiß kein Reich der Freiheit. Was ich jedoch als zusätzliche Belastung empfinde, ist ein zusätzlicher gesellschaftlicher Druck - der auch über die Ämter vermittelt wird - für Arbeitslosigkeit bzw. auch temporäre Arbeitsunfähigkeit bzw. eingeschränkte Arbeitsfähigkeit als Versager, Verweigerer, Sozialschmarotzer geächtet zu werden. Auch wenn man sich dem widersetzt, bedeutet das Widersetzen selbst schon eine seelische Belastung. Positionen müssen nicht übernommen werden, um darunter zu leiden - siehe Mobbing. Deshalb halte ich einen eigenen positiven Entwurf, wie man mit der gegebenen Situation für sich konstruktiv und liebevoll umgeht für einen wichtigen Gegenpol. (Wohlgemerkt ein Gegenentwurf, um eine Phase zu überleben, nicht daraus ein neues Modell zu machen, wie Tatso vermutete)
Gelöschter Benutzer Geschrieben März 4, 2009 Geschrieben März 4, 2009 Was ich jedoch als zusätzliche Belastung empfinde, ist ein zusätzlicher gesellschaftlicher Druck.. ist der Ruf mal ruiniert ,lebt es sich völlig ungeniert. das ist bei Hemmschwelle, die man erst mal überwinden muß . ich kann es nur zum Teil, früher hatte ich eine furchtbare Existenzangst , war öfters 6 Tage- 18Stunden malochen..und merkte nicht mal das ich meine damalige Ehe kaputt gearbeitet hatte. aber so mal voll herunterfahren und Welt- L.m a. A. sagen kann ich immer noch nicht. zumindest habe ich eins gelernt "Ich muß ,nicht reich werden , sondern nur satt"
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